Zwischen Zukunftsdystopie und Grime – ein denkwürdiger Abend

Es war wahrhaftig ein Spektakel, was sich am Donnerstag, den 27.10.22 im Thalia Theater in Hamburg ereignete: „GRM Brainfuck“, ein Stück nach dem gleichnamigen Roman von Sybille Berg, nahm das Publikum mit auf eine Reise in ein düsteres Zukunftsszenario des Vereinigten Königreichs: Korrupte Regierungen, Kapitalismus, eine seit dem Brexit gespaltene Gesellschaft und soziale Medien, in denen Datenklau an der Tagesordnung ist. Und mittendrin eine Gruppe jugendlicher Außenseiter, die sich gegen das neoliberale System stellen.

Im Zentrum der Inszenierung stand ein grell leuchtender Videoscreen, auf dem zeitweise die beiden Hauptdarsteller (Tim Porath und Gabriela Maria Schmeide) zu sehen waren. Sie verkörperten in dem Stück die grässlichsten aller vorstellbaren Baby-Boomer, mit Gedanken voll von Vorurteilen gegenüber der Krisengeneration Z und berichteten pausenlos über das zukünftige und vollständig digitalisierte Leben. Ihre übertriebene und teilweise roboterartige Mimik und Gestik gepaart mit Elementen wie VR-Brillen verliehen dem Stück einen futuristischen Beigeschmack. Von permanent grellem Licht in Szene gesetzt wurde die sich unter dem Bildschirm befindliche Drehbühne zum Schauplatz des zunehmenden Widerstands der Jugend gegen das Leben, das ihnen von der Gesellschaft aufgezwungen wurde. Ausdruck ihres Aufstands war der Grime und so zogen die Tänzer die zwischendurch im Zuge der Informationsflut verloren gegangene Aufmerksamkeit des Publikums immer wieder auf sich, sobald die Musik einsetzte. Diese wurde laut und passend eingespielt und lud ein, das Visuelle und Auditive miteinander zu verbinden. In Kombination mit den energetischen Bewegungen der verschiedenen Choreografien des die Jugendlichen vereinenden Tanzstils erschuf sie eine kraftvolle Kulisse und riss das Publikum mit in eine Periphere, in der das Tanzen das einzige war, das zählte. Die anhand der Tanzeinlagen sowie der Dialoge zwischen den beiden Hauptdarstellern und dem chorischen Sprechen der Jugendlichen erläuterten Konflikte zwischen den rebellischen Außenseitern und dem Establishment waren der rote Faden, an dem sich die Handlung teilweise etwas schleppend entlanghangelte. Das Ganze mündete schließlich in einem gescheiterten Hackerangriff der Jugendlichen auf das digitalisierte System und dem finalen Sieg der Neoliberalen über ihre humanistischen Kritiker.

Was am Ende wohl beim Gros der Zuschauer hängen blieb, war ein Gefühl des wahrhaftigen „Brainfucks“, nicht jedoch ein großer Teil der vermittelten Information. Denn vor allem diejenigen, die den gleichnamigen Roman noch nicht gelesen hatten, wurden von der Informationsflut dermaßen überrollt, dass es ihnen schlichtweg nicht möglich war, an einem einzelnen zentralen Gedanken auch nur länger als ein paar Sekunden festzuhalten. Im Nachhinein betrachtet, bestand der Gedanke hinter der gewählten Inszenierung jedoch mit einer großen Wahrscheinlichkeit in dieser im ersten Moment ermüdenden und verwirrenden Wirkung des Stücks auf das Publikum, diese war demnach gewollt.

  • 08.11.22 Text, Bilder: Nina-Luis Quast und Anne Röbker