Vom Preis des Glücks

Theater zum Nachdenken vom Iordanidou-Kurs 3. Semester

Sankt-Ansgar-Schule Hamburg, 22.11.2019. Im „Heilheim Heiterkeit“, der ‚Casa de la Heiterkeit‘, werden Patienten behandelt, deren psychische „Krankheit“ darin besteht, der staatlich verordneten Glücksdoktrin nicht folgen zu können wegen ihrer Fähigkeit zu trauern. Sie haben ein Kind (Patient 2, John, Patientin 4, Katharina) verloren oder das Augenlicht (Patient 6, Pascal) oder das zweifelhafte Vermögen, Literatur für überflüssig zu halten. Sie wurden brutal ihrer Unschuld beraubt (Patientin 5, Martyna) oder ihrer Fähigkeit, ihren Hass zu beherrschen (Patient 6,75; James). Hier sollen die Patienten 1 bis 8 von den Doktoren A bis F mit Hilfe von Glückshormonen, Erfolgstrainings und totalitären Therapiemethoden auf den „Weg des ewigen Lächelns“ geschickt werden, unter Aufsicht eines Inspektors. Es läuft gut, bis Patientin 8 rebelliert und andere Patienten und Pflegepersonal mitreißt. Ihr gewaltsamer Tod und eine erneute chemische Keule beenden den Aufstand und so bleibt alles beim Alten, beim verordneten Glücklichsein, beim Identitätsdiebstahl durch eine sich zu Tode amüsierende Gesellschaft.

Das am Immanuel Kant Gymnasium Lichtenberg 1999 entwickelte und uraufgeführte Stück war 2000 Preisträger des Wettbewerbs „Spielbar – neue Stücke für das Amateurtheater“ und es zeigt bestes Schultheater in doppeltem Sinne: von und für Schüler. Die Thematik verweist zurück auf Aldous Huxleys Brave New World von 1932 und dessen Glücksdroge Soma und gleichzeitig parodiert es den schon zum Millenium grassierenden Selbstoptimierungswahn und überall vermarktete Erfolgstrainings. Man hätte sich ein wenig mehr Andocken an den Zeitgeist von 2019 gewünscht, z. B. an die Mode der Fitnessuhren und Gesundheitsapps oder an die skandalöse Einstufung der Trauer als mentale Störung im Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, aber auch so bleiben genug Fragen offen, wenn der Vorhang gefallen ist – was Brecht gefallen hätte.

Die Inszenierung markiert den anstehenden Wechsel zum „Nach-Brauer-Theater“ an der SAS: Es war kalt, draußen und drinnen, was allerdings dem ungewohnten Aufführungszeitpunkt geschuldet war. Mit eineinviertel Stunden hatte die Aufführung eine leichter verdaubare Länge. Wie gewohnt war aber der Saal ausverkauft bei 250 Besuchern, wie gewohnt gab es Nebel und Emotionen, Tanz, Musik und volles Engagement der Schauspieltruppe. Dr. C’s Serotonin-Rap (mutig und beschwingt gespielt von Jesse) parodierte die gegenwärtig allseits sprießenden Drag Queen Events, Dr. D (Sergej) und Dr. B (Yakob) erheiterten das Publikum mit authentischem russischen bzw. afrikanischen Akzent, Dr. E (Dennis) mit platten Reimen, Patient 6 (Pascal) mit einer Herbstlaubdusche, Patientin 7 (Daria) rührte es mit einer Rilke-Rezitation und Patientin 8 (Tyra) vermittelte das Leid der Unangepassten sehr intensiv. Die zarte Liebesszene zwischen Aufseherin (Jenny) und Dr. F (Selina) gehörte zu den vielleicht etwas zu knappen ruhigen Kontrapunkten. Zoe Iordanidous flotte Inszenierung und Organisation – hierin tatkräftig unterstützt von Marina (Dr. A) – und Jans technisches Know-How zeigen, dass das Ansgar-Theater weiter attraktiv bleiben wird und dies ist ein Glück, für das keine versteckten Kosten anfallen.

  • 25.11.19 Text: A. Goletz-de Ruffray, Bilder: Ka