Casino – Spiel deines Lebens

CasinoWar das Abschlussstück des Viertsemester-Theaterkurses noch ein „echter Brauer“ Welt-Deutschland-Hamburg-Borgfelde-Sankt-Ansgar-Schule-Pausenhalle, 2.6.2016, 22 Uhr 16. Stimmt schon, es wurde wieder gelacht und getrauert, gestorben und bodenlos verzweifelt, langbeinig schrecklich schöne Schönheiten tanzten und schön-schrecklich geschminkte Agonie-Masken verbreiteten Schrecken, ja, es gab wieder Nebelstürme, Stroboskopgewitter und ohrenbetäubendes Splittern von Glas, und – dreimal ja – es war wieder schwülheiß in der überfüllten Pausenhalle in der ach so frischen norddeutschen Tiefebene, gemäßigte Klimazone, nördliche Halbkugel. DENNOCH: War nicht irgendetwas anders an diesem Stück?

Die T-Bühne – ein Roulettetisch, dahinter eine opulent rot verhängte Bar, alu-silbern verkleidete Betonpfeiler, die der wegweisenden Siebziger-Jahre-Architektur unseres Friedrich-Spee-Hauses endlich etwas Surrealistisches verliehen. Überhaupt: die Farben der Kulisse und der Requisiten – schwarz, rot, gold … und ein wenig silbern. Sicher nicht als augenzwinkernde Vorausdeutung auf die Fußball-EM gemeint, dafür aber eindrucksvoll und – Überraschung! – auch irgendwie schön und hoffnungsvoll. Okay, die Schwangere war schwarz, das Kind schon rot, aber der Clown – hey! – BUNT!

Worum ging’s? Der Ort bestimmt die Handlung: Im Casino wird unser Leben zum tödlich ernsten Spiel. Anfangs begeistert der Entertainer alle Mitspieler, der Croupier stachelt sie an, immer höhere Einsätze zu riskieren. Man setzt Schönheit, Intelligenz, Geduld, man setzt sich selbst, immer in der Hoffnung, den ganz großen Gewinn zu machen. Aber schon bald zeigt sich, dass die Fixierung auf das Materielle die menschliche Gemeinschaft zur humorlosen Spaßgesellschaft degradiert. Die Kontrastfiguren, das glücklich alternde Paar, das naiv fragende Kind, der ängstliche Clown, dessen Ansichten der Revolutionär mit selbstmörderischem Mut hinausschreit, machen deutlich, dass die Bedingungen des Glücks nicht nur in dieser Welt gestellt werden. So scheitern viele, die auf Zukunftsfinanzierung fixierten Eltern, die neoliberal-egoistischen Reichen, die technokratischen Wahrscheinlichkeits- und Gewinnmaximierungsberechner, selbst das allzu vertrauensselige, jungverliebte Paar. Am Ende retten sich Kind und Clown, verlassen die Bühne Hand in Hand, „lass uns zu den Menschen gehen, hier ist kein guter Ort“, und winken sich von den Zuschauern fort, tauchen unter im Nebel – der Apokalypse, des Paradieses???

So offen war eine „Brauer-Inszenierung“ (mit „Kittel-Technik“) selten, oft war klar: Wir sind rettungslos verloren. Lag es daran, dass das Stück ein Gemeinschaftsprojekt des gesamten Kurses war, keine Aufführung eines zeitgenössischen Dramatikers? Text, Kostüme, Kulisse, Requisiten, alles wurde aus der Kursarbeit heraus entwickelt, verändert, immer wieder verbessert, auf Wirkung optimiert – wurde so zum Ausdruck jugendlichen Misstrauens gegen die Einflüsterungen und Zumutungen neo-liberal-kapitalistischer Konsum- und Konkurrenzgesellschaften. Einiges in der Fabel des Stücks, in den oft eindrucksvollen Dialogen und Monologen war erst angedacht, angespielt, der Sprung zur enttabuisierenden Komödie gesellschaftlicher Verhältnisse, zur „Gerichtsbarkeit der Bühne“ Kleists (Abi-Thema 2016…) gelang nicht ganz, aber darf man das vom Schultheater, auch wenn es in der brillanten Brauer-Tradition steht, überhaupt erwarten?

Die kleinen Schwächen im Konzeptuellen wurden durch die mitreißenden Darstellungsleistungen, die überraschenden Regie-Einfälle, die Qualität der Musikeinlagen (Cello, Gitarre, Klavier) und die Präzision der Tänze und Chöre mehr als ausgeglichen. In seiner Dankesrede wies der Schulleiter mit einem Schiller-Zitat auf den Anspruch hin, um den es hier ging: Der Mensch „ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“. Geschrieben von einem, der – typisch deutsch (!?) – sein Heil in der Arbeit suchte. Mit Blick auf die ethnisch bunt gemischte 40köpfige Darstellertruppe des ‚Casinos‘ scheint mir, dass Deutschland wieder einmal mit dem Fremden nicht bloß viel Gutes, sondern auch Überlebenswichtiges willkommen geheißen hat.

Fotos und Text: Andreas Goletz-de Ruffray