Ans-gar und Gans

Gans Ansgar 15Gans-heitserziehung beim Weihnachtsessen des Kollegiums  Hamburg, 3.12.2015. Alle Jahre wieder, kurz nachdem die Wildgänse sich gen Süden rauschend in Sicherheit gebracht haben, fällt ein schnatternder Ansgar-Schwarm in den Baseler Hof ein, gleichsam zur ewigen Fortsetzung in grauer Vorzeit begonnener komplexer Themenverarbeitung. Wie immer geht es um Erziehung, sentimentale und andere, fremde und eigene, nach Einlauf der spirituellen Säfte dann auch um Bildung, höhere wie höchste: Der Schulleiterdiskurs schwingt sich auf neuem Besen in taumelnde Sphären und wirft einen jahrtausendeweiten Blick auf die Geschichte jener heiligen Vertreter der Klasse der Aves, deren sterbliche Überreste bald unsere Verdauungstrakte auskleiden sollten. Dem Bericht über den urgermanischen Respekt vor anser anser lauschend mag mancher bedauert haben, nicht das vegetarische Gericht bestellt zu haben; die, die es bestellt hatten, bedauerten dies erst, als der Risottomatsch kam. Zu spät, zu spät, auf den Exkurs in die chinesische Geschichte hatte unser Princeps verzichtet, was ihm die Sympathie vieler der knapp 50 Jetzt- und Ex-Kollegen eingetragen hat. Schwarz-weiß livriert schwebt Gänse-Rillette, Butter und sündhaft frisches Brot herein und zum ersten Mal sinkt die Schnatterfrequenz, wenn auch nur kurz. Trotz unserer nicht behobenen Wissenslücken in chinesischer Gans-Geschichte folgt dann das „Gänse-Consommé à la Chinoise (sic!) mit Entenfiletroulade“, wagemutige Mischung konkurrierender Luftbewohner – überraschend, vielleicht, den Gaumen aber freut’s. Inzwischen überbrückt die tonale Beantwortung des Eingangsthemas mühelos die Wartezeit bis zur „Konfierten Keule von der Diepholzer Gans mit Johannisbeer-Soße, Orangen-Rotkohl, Servietten-Knödel und Schalotten-Chutney“. Gelegenheit genug, südkoreanische Wissenslust bezüglich der Servietten-Knödel zu befriedigen. Falls bislang das Auge zumindest ein wenig mitaß, war dies mit dem Nachtisch endgültig vorbei: Die „Walnuss Crème Brûlée mit weißem Schokoladeneis und Birnen-Inwer-Relish“ kam im tristen Pegida-Braun, ohne die winzigste Aufheiterung auch nur mit einem Minzeblättchen – die mussten ausgegangen sein… Die Witzfrage nach dem häufigsten Wort beim DDR-Grenzübertritt drängte sich auf, aber niemand stellte sie. Hier trotzdem die Antwort: Gänsefleisch (Gönn’se vielleisch mal den Koffer uffmache…). Ganz ausgespielt war damit die Weihnachtsfuge noch nicht, es fehlte noch das Kontrasubjekt, das aber saß wie der Sturm im Auge des Orkans und schwieg nicht, wohl wissend, dass es diesmal nichts zu entschuldigen gebe. Dann verließ eine um die andere den Nahrungsplatz, legte die Daunen- oder auch sonstige Jacken an und flatterte heim, dem kulinarischen und kommunikativen Genuss noch lange nachschmeckend. Schön war’s, gut war’s, vielleicht etwas weniger leuchtend vor dem allmählich verblassenden schwarzen Fond der weiland Katastrophengans an den Ufern der Elbe – egal, es war ganz und gar Ansgar!

Andreas Goletz-de Ruffrau (Text und Bild)