Paris/Frankreich, 8.-14.10.2016. Die etwas reiferen Studienfahrtleiter fühlten sich an die 80er Jahre in London erinnert, für unsere Drittsemester war es eine neue Erfahrung: An jedem Denkmals- oder Museums-, jedem Kaufhauseingang, bei der Kreuzfahrt auf der Seine, selbst beim abgesperrten Weinerntefest im Künstlerviertel Monmartre wurden Taschen und Rucksäcke kontrolliert, schwer bewaffnete Anti-Terror-Einheiten patrouillierten auf öffentlichen Plätzen, Bahnhöfen, ja sogar in den Zügen. Die Pariser nahmen es gelassen und auch wir waren schnell geübt in Taschen öffnen und Fatalismus. Zwei Kontrollen allerdings sollten uns dennoch überraschen, aber dazu später.
Zunächst galt es, die Stadt der Lichter und der Liebe zu erforschen und schon der abendliche Spaziergang am Tag der Ankunft führte uns auf den höchsten Hügel von Paris, Monmartre, der die neobyzantinische Sacre Cœur trägt – oder war es umgekehrt, wie manche sagen, weil die krakenartigen Fundamente der Kirche den durchlöcherten Berg zusammenzuhalten scheinen. Am oberen Ende der Lieblingstreppe von Amélie Poulain öffnete sich ein betörender Blick über die funkelnde Metropole, der nur noch von der Aussicht vom Eiffelturm am nächsten Abend übertroffen wurde. Zwischen beiden Übersichten lagen die Messe im gotischen Juwel Nôtre Dame und die Führung durch das schönste mittelalterliche Viertel der Stadt, den Marais, einst dem Moor abgerungen, dann fast moderner Stadtplanung geopfert und heute der Gentrifizierung anheimgegeben – man muss reich sein und blind vor Liebe zu dieser Stadt, um 10.000 € für einen Quadratmeter Wohnfläche zu bezahlen.
Die folgenden Tage führten uns ins meistbesuchte Museum der Welt, den Louvre, in die Nobelkaufhäuser Printemps und Galeries Lafayettes, den modernen Kunsttempel „Beaubourg“ (Centre George Pompidou), die jüngst neu eröffneten einstigen Markthallen (Les Halles), ein gewaltiges, postmodernes Einkaufszentrum, durch die Tuilerien, auf die eindrucksvollste Einkaufspromenade der Welt, die Champs-Elysées, hin zum Arc de Triomphe. Eine Kreuzfahrt auf der Seine gehörte ebenso zum Programm wie ein Friedhofsbesuch in der kleineren der berühmten Pariser Gräberstädte, Monmartre, mit Hommage an den Wahlhamburger und –Pariser Heinrich Heine.
So legten wir – laut Fitness-Apps einiger Smartphones – täglich 10-20 (!)km zu Fuß zurück, trotz unserer Navigo-Wochenkarte, die an fast jeder Straßenecke das Abtauchen in den dichten Webteppich des gigantischen Pariser Metro- und RER-Netzes erlaubte. Zweimal tafelten wir zusammen, einmal typisch pariserisch im ‚P’tit Breton‘ – fast jeder Franzose lebt ein paar Jahre in Paris und rettet ein Stück seiner Provinzheimat in die Metropole – und einmal – auch typisch für Paris – in der indisch-pakistanischen Einkaufspassage Brady.
Kosmopolitisches Zentrum und Stadt der Dörfer, glitzerndes Einkaufsparadies und architektonisch-kulturelles Leitmedium, Paris kann alles, und es ist außerdem Wohnstätte kontakt- und feierfreudiger Menschen, die selbst in der Woche für wirbelnden Betrieb in unendlich vielen Cafés, Bars, Clubs und Restaurants sorgen – fast in jedem der 20 Bezirke der inneren Stadt ist mehr los als in allen Hamburger In-Vierteln zusammen. Zugegeben, die Hansestadt bringt es bloß auf 2000 Einwohner pro Quadratkilometer, Paris auf 5000, und selbst nach dem Ableben bleibt es eng – 4 bis 5 Millionen Ex-Pariser sind in den Keller umgezogen, die Katakomben, weil oben kein Platz mehr war.
Auch dieses größte Beinhaus der Welt besichtigten wir mit kundiger Führung (auf Englisch!) und waren überrascht von der Ausweitung der Sicherheitschecks: Gepäckkontrolle am Eingang und am Ausgang. Cham, unsere begeisternde asiatisch-stämmige Führerin, erklärte warum: Täglich würden Touristen versuchen, menschliche Knochen zu stehlen. Die Eingangskontrolle dagegen blieb mir schleierhaft; warum sollten Selbstmordattentäter längst Verstorbene mit in den Tod reißen wollen…
Die zweite überraschende Kontrolle erlebten wir auf deutschem Boden, kaum dass der TGV (320 km/h!) die Grenze überquert hatte. Ein deutscher und ein französischer Polizist, beide mit schusssicheren Westen, riefen ‚Ausweiskontrolle‘ und begnügten sich dann mit der Kontrolle eines arabisch aussehenden jungen Bärtigen.
Das aber war nur der vorletzte Aufreger: Zur Erhaltung des Adrenalinspiegels sorgte ein verspäteter Verbindungszug der Deutschen Bahn dafür, dass uns in Kassel nur 60 Sekunden fürs Umsteigen in den IC nach Hamburg blieben. Wir schafften es und dachten erleichtert: bahnfahren und trotzdem ankommen.
Bilder und Text: Andreas Goletz-de Ruffray